

Büffeln für den zukünftigen Marketingerfolg
Wer im Jahr 2022 im Marketing arbeitet, weiß, was Herausforderungen sind: Makroökonomische Sorgen, einschließlich der Angst vor einer möglichen globalen Rezession, resultieren in immer kleineren Budgets und Teams. Obendrein wird die Marketinglandschaft zunehmend komplexer und es gilt, mit weniger Ressourcen mehr zu erreichen.
Doch nicht alles ist schlecht: Marketingfachleute haben heute mehr Daten, die ihnen bei der Bewältigung dieser Herausforderungen helfen, und mehr Technologien, die eine umfassende Auswertung dieser Daten erleichtern. Um diese Ressourcen nutzen zu können und sich an das neue Umfeld anzupassen, sind allerdings auch neue Fähigkeiten nötig. Alle im Marketing müssen dazulernen – vom Chef bis zum Assistenten.
Auf den Kontext kommt es an
Durch die Zunahme an Daten und Tools in unserem Alltag stehen Marketingfachleute vor der kniffligen Aufgabe, mehr maßgeschneiderte Lösungen zu liefern. David Steuer, Managing Director bei Accenture, verweist auf die wachsende Nachfrage nach stärker personalisierten Kundenerlebnissen. Wichtig ist dabei, dass der Kontext, in dem die Kunden jeweils angesprochen werden sollen, klar verstanden wird. Und zu diesem Kontext zählen sowohl die großen, längerfristigen globalen Entwicklungen wie Pandemien und Inflationen als auch all die kleineren, lokal begrenzten Ereignisse.
Zur Veranschaulichung dieses Aspekts beschreibt Steuer, wie er die erste Folge der neuen Staffel von „Stranger Things“ anschaute, in der ein Song von Kate Bush vorkam. „Running Up That Hill“ hatte er schon seit Jahren nicht mehr gehört und er speicherte den Titel mithilfe von Shazam (dem Musikerkennungsdienst, der seit 2018 Apple gehört) sofort in seiner Mediathek.
„Das ist ein perfektes Beispiel dafür, wie man sich unbewusst nach etwas sehnt und diese Sehnsucht schnell erfüllt bekommt“, erklärt Steuer. „Genau das ist mit ‚Kontext‘ gemeint. Das Verständnis des Kontextes ist unabdingbar, auch wenn er sich rasch ändern kann.“
Steuer war nicht der Einzige, der den Song für sich wiederentdeckte. Bei seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1985 schaffte er es nur auf Platz 30 der U. S. Billboard Hot 100 Charts. Dank „Stranger Things“ schoss er nun fast 40 Jahre später auf Platz 1 der globalen Shazam-Hitliste.
Immer mehr Omnichannel- und Multichannel-Lösungen
Ein weiterer wichtiger Trend ist das Omnichannel-Marketing, also die Integration von digitalen Kanälen (z. B. Kurznachrichtendienste, Websites oder Apps für Mobilgeräte) und analogen Kanälen (z. B. das klassische Ladengeschäft). Dabei werden Kontextinformationen aus all diesen Quellen zur dynamischen Anpassung des Kundenerlebnisses in Echtzeit zusammengeführt.
Eine solide Omnichannel-Strategie verknüpft Onlinedaten wie den Klickverlauf der Kunden mit Offlinedaten, die bei Interaktionen mit Ladenpersonal und Callcentern gewonnen werden. Nur die fortschrittlichsten Unternehmen beherrschten bislang dieses Verfahren.
Marketingprofis müssen sich auch mit der Frage auseinandersetzen, wie erfolgreiche Interaktionen in einem komplexen Multichannel-Umfeld richtig zugeordnet werden können, also welchen Wert die einzelnen Kanäle liefern. „Für welche Sparte und welchen Kanal sollten Punkte verbucht werden, wenn ein Kunde einen Artikel online sucht, ihn dann aber drei Tage später in einem Einzelhandelsgeschäft kauft?“, fragt Steuer.

Neue Arbeitsroutinen verlangen nach neuen Fähigkeiten
Um derartige Fragen zu beantworten, müssen sich die Betriebsmodelle in Unternehmen drastisch ändern. Erforderlich sind sowohl neue Technologien als auch eine verstärkte funktionsübergreifende Zusammenarbeit. Laut Piyush Vakil, Consulting Director bei Accenture, sollten sich Marketingfachleute die nötigen Fähigkeiten aneignen, um mit diesen neuen Tools und Abläufen zurechtzukommen.
„Marketingfachleute müssen mit verfügbaren Technologien vertraut sein. Analysetools und Daten gehören zu den Grundlagen“, erklärt Vakil. „Vor allem aber sollten sie wissen, wie sie [bei Projekten] am besten unternehmensweit mit Technikabteilungen, Geschäftseinheiten und Kanalverantwortlichen zusammenarbeiten.“

Wenn man zum Beispiel ein neues personalisiertes Angebot in einer App erstellen und dessen Akzeptanz bei den Benutzern nachverfolgen möchte, ist sicher die Unterstützung der App-, Marketing- und Datenteams nötig. „Wahrscheinlich gibt es auch ein separates Technikteam, das gerade an Cloudfunktionen werkelt, und vielleicht sogar ein Customer-Experience-Team – all diese Teams müssen ihre Kräfte bündeln“, meint Steuer.
Führungsköpfe aus der Marketingabteilung seien laut Vakil in einer guten Position, um derartige Unternehmensinitiativen zu planen, zu koordinieren, zu überwachen und zu kontrollieren. Sie könnten als Projektmanager fungieren, die schlussendlich die Verantwortung für den Erfolg oder Misserfolg wichtiger Projekte übernehmen.
„Im Grunde geht es um kritisches Denken und Soft Skills im Hinblick auf die Interaktion mit anderen Teams und Teammitgliedern“, erklärt er.
Prozesse, Technologien und Daten
Neben der Fähigkeit zur Zusammenarbeit werden weitere Kompetenzen eine entscheidende Rolle spielen, so zum Beispiel ein gutes Verständnis zugrundeliegender Geschäftsprozesse. Steuer zufolge seien vor allem jene Fachkräfte wertvoll, die einen kompletten Customer-Experience-Prozess von der Idee bis zur finalen Umsetzung definieren und managen können. „Bevor man einen Prozess automatisieren kann, muss man ihn richtig verstehen“, erklärt er.
Der Umgang mit Daten und aktuellen Technologien sollte den Marketingprofis ebenfalls im Blut liegen. „Beim Stichwort ‚Marketing‘ denken die meisten an die kreative Arbeit – die natürlich immer noch wichtig ist“, sagt Steuer. „Doch es sind auch analytisch denkende Köpfe nötig, die sich mit all den Daten auseinandersetzen, wichtige Leistungskennzahlen erfassen und diese mit den Zielvorgaben und Ergebnissen abgleichen.“
Wir wollen damit nicht sagen, dass Marketingfachleute Programmierkenntnisse benötigen, auch wenn das sicher hilfreich wäre. Denn sobald die Prozesse definiert sind, lässt sich die technische Realisierung mithilfe von Software (zum Beispiel Plattformen zur Low-Code-Anwendungsentwicklung) beschleunigen. Dadurch werden Marketingteams leistungsfähiger, auch wenn sie keine professionellen Programmierer in den eigenen Reihen haben. Ebenso erfordert der Umgang mit Daten keinen Hochschulabschluss in Data Science. Marketingprofis können sich im Zuge der Verbesserung ihrer Analysefähigkeiten mit Statistik und Daten befassen, müssen aber keine Doppelschichten als Data Architects schieben.
Den Wert messen und verstehen
Diese auf Daten ausgerichteten Marketingfachleute spielen künftig eine zentrale Rolle, wenn es um die anspruchsvolle Aufgabe geht, den erzielten Wert zu quantifizieren. Laut Steuer werden Marketingteams den Wert ihrer Kampagnen überzeugend belegen müssen. „Deshalb sollten sie in der Lage sein, die Auswirkungen einer bestimmten Kampagne oder eines Angebots zu quantifizieren und dann den Wert im Backend zu messen.“
Eine weitere unerlässliche Fähigkeit für jedes Team, das in einem solchen wertorientierten Marketingumfeld bestehen möchte, ist die Kenntnis geeigneter Testmethoden. Versierte Marketingprofis führen regelmäßig A/B- und Champion-Challenger-Tests sowie Optimierungsverfahren zur Verbesserung des Kundenerlebnisses durch, betont Steuer. „Das Testen und Feinanpassen der Inhalte nach dem Agile-Prinzip ist enorm wichtig.“


Um dieser Rechenschaftspflicht nachzukommen, haben einige Marketingabteilungen dedizierte Funktionen zur Wertmessung eingerichtet. Vakil beschreibt sie als Systeme zur fortlaufenden Optimierung, mit deren Hilfe die Teams erkennen sollen, welche Kundenerlebnisse tatsächlich einen Wert erzielen und wie sie sich optimieren lassen.
Andere Unternehmen gehen einen Schritt weiter und suchen auch außerhalb der Marketingabteilung nach Führungskompetenz. Beispielsweise werden ranghöhere Angestellte in die engere Auswahl aufgenommen, die derzeit eine strategische Rolle innehaben oder einen Geschäftsbereich leiten.
„In jüngster Zeit kommt es oft vor, dass Fachleute aus dem operativen Geschäft in die Rolle des CMO schlüpfen“, erklärt Vakil. Diese Taktik führt häufiger zum Erfolg, weil die Verantwortlichkeiten des CMO sich zunehmend auf Daten stützen. Es genügt nicht mehr, andere Teammitglieder von der gewählten Strategie zu überzeugen. Jetzt sind Kennzahlen wie der ROI für konkrete Handlungsanweisungen entscheidend.
Die Suche nach neuen Talenten
Da das Anforderungsprofil für Marketingfachleute wächst, rät Steuer den Unternehmen, bei Bewerbungsgesprächen mit Absolventen nicht nur die typischen Anwärter aus dem Studiengang Marketing ins Auge zu fassen. Stattdessen sollten auch Kandidaten eine Chance bekommen, die über den nötigen Kreativsinn verfügen und gleichzeitig Kompetenzen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) mitbringen.
Für bereits eingestellte Fachkräfte gilt es, ihre Fähigkeiten auf den aktuellen Stand zu bringen und den Umgang mit Daten sowie deren korrekte Auswertung zu erlernen. Auch neue Technologien wie Low-Code-Systeme sollten auf dem Weiterbildungsplan stehen.
„Wer lernwillig ist und kritisches Denkvermögen besitzt, kann sich die neuen Kenntnisse innerhalb des üblichen Zeitrahmens aneignen“, meint Vakil. „Meist genügen acht bis zwölf Monate.“
Marketing-Führungskräfte von morgen müssen sich auf Veränderungen einstellen. Unternehmen, die digitale Inhalte zur Priorität erklärt haben, sind der Konkurrenz möglicherweise einen Schritt voraus, da sie bereits kompetente Teams zusammenstellen konnten, die sich mit den neuen Technologien und datengestützten Entscheidungsprozessen bestens auskennen. Im Gegensatz dazu müssen Unternehmen, die ihr klassisches Ladengeschäft gerade erst modernisieren, noch aufholen. In jedem Fall gilt jedoch: Wer sich die genannten Kompetenzen in der Marketingbranche jetzt aneignet, ist für die Zukunft bestens gerüstet.