

KI – Ihr Freund und Helfer?
Viele Anbieter setzen noch auf ein Marketing, das an einen Straßenhändler erinnert, der Passanten etwas aufschwatzen will -
so könnte man die Einschätzung von Tommi Marsans, Strategin für Marketingtechnologien bei der Verizon Business Group, auf den Punkt bringen. Ihre Kritik: Bei dieser veralteten Strategie werden Produkte und Dienstleistungen vermarktet, ohne auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden einzugehen. „Und das funktioniert nicht“, so Marsans, die das Problem aus eigener Erfahrung kennt:
Auch Verizon praktizierte jahrelang ein Hardselling. Sogar die von Marketingteams erstellten Personas und Segmentierungen für die Feinabstimmung von Messages erwiesen sich dabei als wenig effektiv.
Angesichts der Präzision, die das digitale Marketing verspricht, erscheinen diese altbackenen Methoden mittlerweile fast schon ein bisschen verzweifelt. „In der analogen Welt stößt man damit schnell an seine Grenzen“, erklärt die Strategin. „Dann erhält man vielleicht eine Segmentierung für eine Zielgruppe, die Fußball und Chardonnay mag.“ Diese Kunden dann automatisch als fußballbegeisterte Mütter einzustufen, dürfte ein wenig kurzsichtig sein.

KI als Rettung?
Aus diesem Grund stellt Verizon inzwischen unternehmensweit bei allen Interaktionen die Kunden und deren Wünsche in den Mittelpunkt – vom E‑Mail-Marketing bis hin zu den Self-Service-Portalen im Web. Dass dies gelingt, ist nicht zuletzt künstlicher Intelligenz (KI) zu verdanken.
Im Marketing sind KI-Systeme bisher noch relativ neu, doch es finden sich immer mehr Anwendungsfälle. Auch wenn wir Menschen Muster in Bildern oder Sprache ganz gut erkennen können – eine KI kann das wesentlich besser, da sie auf statistische Modelle zurückgreift, die auf der Analyse riesiger Datenmengen aus der Vergangenheit basieren.
Mit einer KI können Marketingteams auch gezielt nach Mustern in Kundendaten suchen, das Kundenverhalten analysieren und diese Insights für automatisierte Entscheidungsprozesse nutzen. Das ermöglicht die Optimierung der Customer Journey durch noch stärker personalisierte Angebote und Lösungen – was sich wiederum positiv im ROI niederschlägt.
Bei einer Gartner-Studie im Vorjahr waren 84 Prozent der befragten Führungskräfte aus dem digitalen Marketing überzeugt, dass sie die Vermarktung mit einer KI leichter in Echtzeit für einzelne Kunden anpassen könnten. Da sich 63 Prozent der Befragten mit persönlich gestalteten Interaktionen schwertun, scheint diese Unterstützung dringend nötig. Doch bisher nutzen im Marketing nur 17 Prozent eine KI. „Kein Wunder, dass sich der Erfolg nicht einstellt“, lautet so auch das vernichtende Urteil der American Marketing Association in einem Bericht zu diesem Thema.


Neue Ansätze mit KI
Marsans wollte es nicht hinnehmen, dass Verizon weiterhin seine Geschäftskunden mit veralteten Marketingmethoden verschreckte. Obwohl sie anfangs nur rudimentäre Kenntnisse über künstliche Intelligenz besaß, engagiert sie sich seit drei Jahren für mehr KI-Kompetenz im Marketing.
„Das Konzept ist eigentlich ganz einfach“, meint sie. Tatsächlich eignen sich KI-Systeme am besten für Aufgaben, die keine besonderen Kenntnisse voraussetzen. Ein typisches Beispiel ist das Abrufen von Kundendaten – wie das Profil oder bisherige Käufe und Interaktionen in verschiedenen Kanälen. Im Gegensatz zu Mitarbeitern kann das KI-System dies in Echtzeit auch für eine große Zahl an Kunden erledigen und aus diesen Daten genaue Vorhersagen zu den Absichten und voraussichtlichen Verhaltensweisen einzelner Kunden ableiten.
„Diese prädiktiven Analysen finde ich besonders interessant“, erklärt Marsans. „Anhand von vier oder fünf Aktionen eines Kunden kann die KI oft schon die sechste, siebte und achte Aktion ziemlich genau vorhersagen. Das ist sowohl für uns als auch für die Kunden enorm hilfreich.“

KI in Aktion
Sehen wir uns an, wie das in der Praxis funktioniert. Angenommen, Sie sind Geschäftskunde von Verizon und haben 15 Telefonanschlüsse, von denen Sie fünf nicht mehr brauchen und kündigen wollen. Nach der Anmeldung im Self-Service-Portal empfiehlt Ihnen das KI-System (das ja von Ihren ungenutzten Anschlüssen weiß), wie Sie diese für andere Zwecke einsetzen könnten.
Wenn Sie daran kein Interesse haben und direkt mit den nächsten Schritten zur Anschlussdeaktivierung fortfahren, könnte die KI Ihnen dann z. B. einen Preisnachlass von 20 Prozent für die Einrichtung geschäftlicher WLAN-Dienste für diese Anschlüsse vorschlagen. „Durch die KI profitieren Kunden von zusätzlichen Optionen und einem höheren Mehrwert“, weiß Marsans.
Vor noch zehn Jahren hätten viele Kunden automatische Empfehlungen wahrscheinlich als aufdringlich empfunden, so Marsans, doch heute geht vieles nicht mehr ohne Smartphone. Apps fungieren quasi als Geschäftsassistenten – das frühere Misstrauen gegenüber Technologien ist einer regelrechten Zuneigung gewichen.
Und das liegt auch daran, dass künstlichere Intelligenz oft bessere Ergebnisse erzielt. Das Portfolio von Verizon ist komplex und umfasst über 3.000 Produkte und Services. „Kundenbetreuer können sich davon vielleicht sieben merken“, schätzt Marsans. Die KI hingegen hat mit dieser Informationsfülle kein Problem, kann alles berücksichtigen und dann nützliche Empfehlungen geben.
Die Zugänglichkeit sämtlicher Daten sorgt zudem für mehr Konsistenz, denn bisher variierte die Werbekommunikation von Verizon je nach genutztem Channel. „Unter Umständen bekam man per E‑Mail ein bestimmtes Angebot, im Portal ein anderes und direkt vom Kundenservice gar ein drittes“, erklärt Marsans. „Es fehlte ein System zur Verknüpfung aller Daten.“
Inzwischen sind die Konversionsraten gestiegen, doch Marsans würde sie gern durch noch wertvollere Angebote für Kunden weiter steigern. „Man kann Kunden ja nicht zu einem Abschluss zwingen, sondern muss durch eine individuelle Ansprache einen überzeugenden Wert anbieten“, lautet der Tipp der Strategin.
Genau das und noch mehr kann ein KI-System, indem es nahtlose Konversationen für die gesamte Customer Journey unterstützt. Allerdings ist ein solches System nicht allmächtig. Marsans betont, dass Vermarkter dies bedenken sollten, wenn sie mit einer KI im Marketing arbeiten. Aus eigener Erfahrung kennt sie typische Stolpersteine,
wie zum Beispiel ein KI-Modell, das zum Abgeben von Empfehlungen mit hoher Gewinnmarge trainiert wurde: Die KI empfahl so niedrige Preisnachlässe – etwa 5 Dollar Rabatt bei einem Smartphone –, dass das wenig weiterhalf.

Als ihr Team dann mit Korrekturen ein gutes Mittelmaß finden wollte, schlug das KI-System ins andere Extrem um. „Die KI verstand nicht, was wir wollten“, erinnert sich Marsans. „Statt der Marge priorisierte sie nun das Volumen und wollte unsere Produkte und Services zum Spottpreis verscherbeln.“
Wie sich herausstellte, war die KI mit Daten trainiert worden, die eine gewisse Verzerrung aufwiesen. „Unser früherer produktorientierter Ansatz hat die Daten verzerrt und ist in unsere Modelle eingeflossen“, erklärt Marsans. „Daher mussten wir einen Gang zurückschalten. Eine KI kann im Prinzip das, was wir Menschen können, nur schneller – aber bei selbstständigen Entscheidungen stößt sie an ihre Grenzen.“

KI als bester Freund der Kunden
Marsans würde gern die KI so trainieren, dass sie selbstständig Kunden kontaktieren und ihnen weitere Vorteile der Produkte und Services des Unternehmens aufzeigen kann. Idealerweise sollte die KI erkennen, welche Produkte und Leistungen Kunden noch nicht nutzen, und ihnen dann gezielte Angebote unterbreiten.
Das mag ein bisschen nach George Orwell klingen, doch Marsans ist überzeugt, dass der Übergang vom produkt- zum kundenzentrischen Ansatz klare Vorteile bringen wird.
„Unternehmen sollten sich auf Anwendungsfälle konzentrieren, die für Kunden wichtig sind und die sich messen lassen“, rät die Strategin. „Dann werden die Kunden dem Unternehmen schon den richtigen Weg aufzeigen.“